Solo-Selbständig in Zeiten des Virus

Bei mir ist grad viel los. Obwohl ich für die nächsten 10 Wochen keine Aufträge mehr habe, stehen Telefon und email-Postfach nicht mehr still. Ich versuche mal, das was so los ist und mich beschäftigt hier zusammen zu fassen.

Zuerst einmal welch ein Glück, dass ich weder zur Risikogruppe gehöre, noch übermorgen ohne medizinische Versorgung oder was zu Futtern dastehen werde. Was ein Glück, dass ich mich mit anderen austauschen, unterstützen und solidarisch handeln kann. Dazu möchte ich die kommenden Wochen ganz grundsätzlich nutzen. Denn ich werde voraussichtlich mehr Zeit haben als noch bis Vorvorvorgestern gedacht.

Absagen

Meine erste Absage kam Dienstag Abend. Eine „dicke“ Konferenz. Trotz Ausfallhonorar (zum Glück hatte ich das in mein Angebot geschrieben) ist ca. 1/7 meines Jahreseinkommens weg.

Ausblick: Es gibt eine Anfrage für einen neuen Termin im Herbst. Ich überlege, ob ich dafür meinen für Urlaub geplanten Zeitraum um die Tage verkürzen würde. In ein neues Angebot würde ich auf jeden Fall noch bewusster Ausfallhonorare reinschreiben und zwar ab Zeitpunkt des Zuschlages. Da mögliche Ausfälle durch das Corona-Virus bei Vertragsabschlüssen jetzt keine Überraschungen mehr wären, rechne ich nicht damit, dass sie bei neuen Verträgen noch als höhere Gewalt o.ä. gelten könnten. (Juristin bin ich aber nicht!) Dass das eine Rolle spielen wird, kann man sich ja spätestens ab jetzt denken. Ob mein Angebot mit den entsprechenden Fristen angenommen wird, weiß ich nicht. Ich würde es riskieren. Wenn die Anfrage kommt, das Ausfallhonorar auf den neuen Auftrag anzurechnen, würde ich mich nicht wundern. Und fände es dreist.

Es wird für alle ein schmerzhaftes Jahr. Aber es geht darum, das beste für alle draus zu machen und fair miteinander zu sein und nicht „den schwächsten den schwarzen Peter“ zuzuschieben. Wir müssen gucken, wie wir die Lasten halbwegs fair verteilen können. Und das bedeutet Existenzen zu sichern. Insbesondere in meinem Arbeitsfeld: Arbeitsbedingungen weltweit, Faire Arbeit, gute Arbeit für Frauen.

Seit Dienstag Abend ist mir klar, dass ich dieses Jahr an meine Ersparnisse gehen werde. Kein schöner Gedanke. Aber genau dafür habe ich sie. Und nun versuche ich nicht, mir über jeden weiteren Euro (oder auch Tausend) Gedanken und Sorgen zu machen. Macht es ja auch nicht besser. Auch wieder ein Privileg, trotz finanziellen Schmerzen so denken zu können. Meine Entscheidungen für Aufträge, Veranstaltungsabsagen und mein Handeln, will ich gerade von anderen Aspekten abhängig machen. Im zweiten Schritt gilt es dann, den finanziellen Schaden zu begrenzen.

Die nächste Absage war ein nicht angenommenes aussichtsreiches Angebot. Alles sah gut aus. Spannend und fair bezahlt. Aber die ganze Veranstaltung findet nun nicht statt. Wieder mal verständlich.

Ausblick: Ersatztermin ist angefragt und passt auch für mich. Auch hier werde ich ins neue Angebot ein Ausfallhonorar ab Zeitpunkt des Zuschlages aufnehmen. Grundsätzlich habe ich auch kommuniziert, dass ich den freien Termin nur begrenzt freihalten kann. Schließlich kommen jetzt diverse Anfragen für Verschiebungen in den September und Oktober und ich kann es mir nicht „leisten“ Anfragen wegen Reservierungen abzulehnen und dann wird hinterher aus den Reservierungen doch nichts. Meine zeitlichen Ressourcen sind begrenzt.

Gestern die nächste Absage. Ein Wochen-Seminar im Bereich politische Bildung. Natürlich ist alles schon vorbereitet. Schätzungsweise 30 Arbeitsstunden sind eingeflossen. Das ist ca. ein Drittel der Arbeitszeit, die mit dem Seminar-Honorar vergütet wird.

Ausblick: Der Auftraggeber hat proaktiv zugesichert, das vertragliche Ausfallhonorar zu zahlen. Hier wird nicht geprüft, ob in der aktuellen Situation eine Verpflichtung besteht oder so. Zusätzlich gab es ein sehr faires Angebot: Sie wissen, dass wir Freien vorerst keine neuen Aufträge bekommen werden und es für uns, die eh sehr prekär unterwegs sind, ein hartes Jahr wird. Wenn wir noch ein paar zusätzliche Aufgaben übernehmen, bekommen wir ein Ausfallhonorar von 50%. Wir besprechen kommende Woche, ob wir die Seminar-Materialien übersichtlich in die e-Learning-Plattform einpflegen oder das Seminarkonzept noch mal grundsätzlich überarbeiten für’s kommende Jahr. Damit habe ich Stunden-mäßig dann ca. 50% des Auftrages gemacht und 50% des Honorars erhalten. Natürlich fehlen mir damit auch 50%, aber immerhin wurde mir die Möglichkeit gegeben, noch etwas sinnvolles zu tun und etwas weniger finanzielle Einbuße zu haben. Außerdem bekommen wir schriftlich, dass die Veranstaltung Corona-bedingt sehr kurzfristig abgesagt wurde. Falls es später irgendwelche Ausgleichs-Zahlungen geben sollte, könnten diese Nachweise für uns sehr hilfreich sein.

Weiter Ausfall: Eine Studienreise nach Frankreich. Vergütet worden wäre die Seminarwoche pauschal. Ein Ausfallhonorar ist nicht vereinbart. Im Vertrag steht, dass das Seminar bis 2 Monate vor Termin wg. zu wenigen Anmeldungen abgesagt werden kann. Die Zweimonatsfrist ist unterschritten. Anmeldungen hätte es genug gegeben. Die Vorbereitung ist schon gelaufen, viele Termine wurden verabredet, gebucht usw. Arbeitsaufwand 30-40 Stunden.

Ausblick: Nun stehen weitere Arbeiten an. Es muss ja alles wieder abgesagt werden. Das werde ich erst mal nicht machen. Es muss geklärt werden, ob die bisher geleisten Arbeiten und der zusätzliche Aufwand für die Absagen bezahlt werden. Rein rechnerisch lässt sich aus Vorbereitungs- und Durchführungsaufwand ja ein Stundenlohn ableiten.

Das war es zum Glück. Ich hatte allerdings auch eine vierwöchige Auszeit von Ende März bis Ende April eingeplant. Die mir jetzt natürlich zugute kommt. Mal gucken, was mit den Aufträgen ab Mitte Mai ist.

So viel zu meinen Erfahrungen. Aber was nun?

Runter kommen, an die frische Luft, weg von Radio und Internet. Checken, wie ich meine Nachbar*innen, Freund*innen, freiberuflichen Kolleg*innen und andere unterstützen kann. Gemeinsame Freizeit per Skype organisieren.

Aber die Arbeit beschäftigt mich und euch ja trotzdem weiter. Und macht uns Sorgen, wirft Fragen auf…

Ich fühle mich bestätigt, dass Vertragsbedingungen und das Thema Ausfallhonorare mindestens so wichtig sind wie die Honorarhöhen. Seit letztem Jahr sind das meine zentralen Verhandlungspunkte. Da werde ich nachschärfen. Und das in AGB fassen. Einen gezielten Austausch zum Thema Vertragsbedingungen und AGB fände ich großartig. Da können wir Freiberufler*innen sicher viel von/miteinander lernen. Wenn wir da alle vergleichbar aufgestellt sind, kann uns das auch im Wettbewerb nur zugute kommen.

Ich will die kommenden Wochen nutzen, um mich weiterzubilden. Hab ja jetzt mehr Zeit. Gut, dass noch drei e-Learning-Kurse auf mich warten. Zwei davon zu digitalen Formaten.

Ich will gucken, was ich an digitalen Formaten anbieten, konzipieren und etablieren kann. Moderation wird nun sicher zunehmend da gebraucht wo man bisher an einem Arbeitstisch zusammengesessen hat.

Schließlich wird mal wieder klar, wie wichtig Vernetzung und Wissensaustausch sind. Lasst uns die Flaute dafür nutzen!

Wie können wir uns ggf. jetzt helfen? Mit einer Kollegin sprach ich gestern über folgendes:

  • Krankenversicherungsbeiträge der aktuellen Finanzprognose anpassen. Entlastet ggf. grad besser als ein Plus bei der KV am Jahresende.
  • Ggf. Rentenversicherungsbeiträge für ein paar Monate der aktuellen Finanzprognose anpassen, auch wenn man das im Nachhinein nicht mehr in der GRV ausgleichen kann.
  • Anspruch auf Wohngeld prüfen.
  • Einkommenssteuervorauszahlung anpassen.
  • Strategisch auf die letzte Steuererklärung gucken. Die haben die meisten ja noch nicht abgegeben. Ggf. mach ein höherer Gewinn im Vorjahr Sinn. Denn an diesem könnten sich mögliche Zahlungen orientieren.
  • Schriftliche Nachweise über alle Aufträge zusammen sammeln. Auch da wo nur mündliche Verträge bestehen. Zusätzlich schriftliche Bestätigungen über die Ausfälle und den Bezug zu Corona. Es geht ja nicht darum, den Auftraggeber*innen Geld abzuknöpfen, sondern ganz konkret die Ausfälle und Summen nachweisen zu können.

Erste Ideen für Wünsche oder Forderungen an die Politik:

  • Bei möglichen Ausgleichszahlungen nicht nur auf das Vorjahr gucken. Das hilft ggf. um die sinkende Nachfrage darzustellen. Gecancelte Veranstaltungen lassen sich aber besser durch Verträge und Stornierungen nachweisen.
  • Sozialversicherungsbeiträge reduzieren. Unbedingt auch die Untergrenzen nach unten, um diejenigen mit den geringsten Einkommen besonders zu schützen.

In diesem Sinne. Ich bin gespannt auf eure Erfahrungen und Gedanken und schicke viele Grüße aus Köln

Annika